Ist die freimaurerische Verbindung...
...nicht völlig vergebens und unwirksam, so muss doch ohne Zweifel derjenige, der sich in ihr befindet, er stehe auf einer Stufe der Kultur, auf welcher er wolle, der Reife näher kommen, als dasselbe Individuum außer der Verbindung, ihr gekommen sein würde.
Dies gilt bei dem wachen Menschen sogar von jedem neuen Verhältnisse, in welches er eintritt.
Ich nehme hier Reife und gemeinmenschliche Ausbildung für gleichbedeutend, und zwar mit Recht. Einseitige Bildung ist immer Unreife; wenn auch an einer Seite Überreife fein sollte, so ist doch dafür gewiss an andern Seiten herbe, saure Unreife.
Das Hauptzeichen der Reife ist: Kraft, durch Anmut gemildert — Alle jene gewaltsamen Ereiferungen, jene weiten Anläufe und Ausholungen sind die ersten, auch notwendigen Renkungen und Regungen der sich entwickelnden Kraft; aber sie sind nicht mehr vorhanden, nachdem die Entwicklung vollendet, und die schöne geistige Form in sich selbst gerundet ist.
Oder dass ich es mit den Kunstwörtern der Schule sage: So wie sie Reife erfolgt, vermählt holde Poesie sich mit der Klarheit des Kopfes und der Rechtschaffenheit des Herzens, und die Schönheit tritt in den Bund mit der Weisheit und Stärke.
J. G. Fichte, „Briefe an Constant“, in: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts, oder Resultate vereinigter Denker über Philosophie und Geschichte der Freimaurerei (Bd. 2.), Berlin 1803, S. 1-60, hier S. 4.
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